Dienstag, 6. Januar 2015

Fallbearbeitung (Strafrecht) mit Erklärungen - Grundfall

So. Es geht an die Fallbearbeitung :)

Vorher muss ich kurz etwas zum Gutachtenstil, zum wichtigsten Werkzeug der Juristerei erklären. Dieser ist nicht nur im Strafrecht, sondern in jedem Gebiet der Rechtswissenschaft notwendig. Der Gutachtenstil besteht aus vier Schritten. Zuerst wirft man ein Tatbestandsmerkmal auf (Obersatz). Dann folgt die Definition, die Subsumtion (das Anwenden der Definition auf den zu bearbeitenden Fall) und am Ende folgt die Konklusion (Ergebnis).

Kurz an einem Beispiel erklärt:

1. Obersatz (im Konjunktiv) bzw. Aufwerfen der Frage: Das Fahrrad müsste eine Sache sein.

2. Definition: Sache ist jeder körperliche Gegenstand.

3. Subsumtion: Das Fahrrad ist ein körperlicher Gegenstand.

4. Konklusion: Das Fahrrad ist eine Sache.

Klingt doch ganz einfach, oder? Ist es eigentlich auch :) Im Fall werde ich in Klammern dahinter schreiben, um was es sich genau handelt.

Im folgenden Fall muss man prüfen, ob sich Person A gemäß § 223 I StGB strafbar gemacht hat. Man kann jetzt nicht wild drauflos schreiben, sondern man muss sich an ein gewisses Schema halten. Diese sind von Tatbestand zu Tatbestand verschieden. Für die Körperverletzung sieht das Schema wie folgt aus:

  1. Tatbestand § 223 StGB
    1. Objektiver Tatbestand
      • Körperliche Misshandlung
      • Gesundheitsbeschädigung
    2. Subjektiver Tatbestand
      • Vorsatz -> objektiver Tatbestand
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

Eine Sache ist noch wichtig, bevor wir mit dem Fall beginnen. Die zwei Definitionen zu § 223 StGB.



Nun geht es an den konkreten Fall. Dieser war Inhalt meiner Probeklausur vom 19. Dezember 2014. Ihr werdet beim Lesen feststellen, dass es sich hierbei um ein Vorsatzproblem handelt, deshalb erläutere ich nur kurz die Arten des Vorsatzes, ohne mich der Fachsprache zu bedienen und näher drauf einzugehen. Das würde das Ausmaß dieses Eintrages sprengen. 

Kurze(!) und einfache Definition des Vorsatzes: 
"Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung."

Ich habe mir aus dem Internet eine kleine Tabelle ausgesucht, die ein wenig hilfreich sein könnte. Wie gesagt, ganz ohne Fachsprache und ohne Vertiefung. :) 



Jetzt gehen wir wirklich an den Fall :D Tada!

Die Aufgabenstellung, die man hier leider nicht sieht, lautete: Hat sich A nach § 223 I StGB strafbar gemacht? 

Wie auch im Deutschunterricht beginnt die Bearbeitung eines Falles mit einem Einleitungssatz, nämlich dem Obersatz, der immer im Konjunktiv steht.

[Obersatz] A könnte sich gemäß § 223 I StGB strafbar gemacht haben, in dem er C mit einer Frisbee-Scheibe am Auge getroffen hat.

- Klar, man könnte den Obersatz umformulieren, damit er intelligent klingt, ist aber unnötig. Noch eine kleine Ergänzung zum Gutachtenstil: Wörter wie DA, WEIL, INDEM oder DENN sind VERBOTEN! Diese Wörter gehören zum Urteilsstil und haben bei einer Fallprüfung NICHTS verloren. Das ist sehr wichtig. -

Weiter geht's mit der Fallbearbeitung. Den Obersatz haben wir inzwischen. Jetzt geht es an den objektiven Tatbestand, wie ihr im Aufbauschema oben erkennen könnt. Im objektiven Tatbestand stehen unter anderem: 
  • Tatsubjekt
  • Tatobjekt
  • Tathandlung
  • Kausalität
  • Objektive Zurechenbarkeit
[Objektiver Tatbestand] Das setzt voraus, dass A den C körperlich misshandelt hat (Aufwerfen der Frage). Eine körperliche Misshandlung ist jede Substanzverletzung des Körpers oder jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtig (Definition). Das Auge des C wurde durch die Handlung des A verletzt. Eine Verletzung des Auges ist eine unangemessene Behandlung, die der körperlichen Unversehrtheit entgegensteht (Subsumtion). Das körperliche Wohlbefinden und die Unversehrtheit wurden folglich beeinträchtigt (Konklusion).
Fraglich ist, ob auch eine Gesundheitsschädigung vorliegt (Aufwerfen der Frage). Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Gesundheitszustandes. Pathologisch ist ein Zustand, wenn dieser vom Normalzustand der körperlichen Funktion des Opfers nachteilig abweicht (Definition). Das Auge des C wurde vom geworfenem Gegenstand des A so schwer verletzt, dass dessen Sehvermögen nur aufgrund einer Notoperation gerettet werden konnte. Eine Verletzung, die mit einer Notoperation behandelt werden muss stellt ein Hervorrufen eines pathologischen Zustands dar (Subsumtion). Eine Gesundheitsschädigung ist deshalb ebenfalls zu bejahen. 
Es ist zu prüfen, ob die Handlung des A kausal für dessen Erfolg war (Aufwerfen der Frage). Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist eine Bedingung dann kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (Definition). Dächte man sich den Wurde der Scheibe weg, wäre C nicht an seiner Gesundheit geschädigt worden. (Subsumtion). Die Handlung des A ist also Kausal für den Erfolg (Konklusion).
Fraglich ist auch, ob der Taterfolg dem A objektiv zurechenbar sein kann (Aufwerfen der Frage), das heißt, A müsste eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen haben, die sich in Form des Eintritts  des tatbestandsmäßigen Erfolgs realisiert hat (Definition). Indem A die Frisbee-Scheibe in Richtung C geworfen hat, hat er eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen (Subsumtion). Diese müsste sich im Verletzungserfolg realisiert haben. Somit ist die objektive Zurechnung dem A zuzurechnen. Folglich ist der objektive Tatbestand erfüllt (Konklusion)

- Kurzer Einschub. Wenn der Fall offensichtlich ist, kann und sollte man sich auf das wesentliche konzentrieren und Schwerpunkte setzen. Im ersten Semester wäre es besser, den objektiven Tatbestand ausführlich zu behandeln, damit man zeigt, man hat es verstanden und beherrscht den Gutachtenstil. Bei der Examensprüfung hätte aber auch ein Satz wie zB "A hat die Körperverletzung des C durch das Treffen mit der Frisbee-Scheibe zurechenbar verursacht."gereicht, denn der Schwerpunkt des Falles liegt klar beim Vorsatz. -


Es folgt nun der subjektive Tatbestand. Zum Inhalt des subjektiven Tatbestands gehören unter anderem die innere Haltung, Einstellungen und Gedankenwelt des Täters UND ganz wichtig!! Der Vorsatz, es sei denn, es handelt sich ganz klar um ein Fahrlässigkeitsdelikt. 

[Subjektiver Tatbestand & Schuld] A müsste vorsätzlich gehandelt haben (Aufwerfen der Frage). Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung bei Begehung der Tat (Definition). A hat den Taterfolg nicht einkalkuliert und wollte diesen auch gar nicht (Subsumtion). A handelte nicht vorsätzlich, demnach ist er einer Körperverletzung gemäß § 223 I nicht schuldig (Konklusion und Ergebnis).

Das war es auch schon. Man fliegt beim Vorsatz schon raus, da dieser verneint wird. 





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